115 km / 3760 Hm / 4 Pässe (La Lechere – Saint-Jean-de-Marienne)
Die zweite Etappe war vor allem durch zwei Pässe der „Ehrenkategorie“ geprägt: dem Col de la Madeleine und dem Col du Glandon / Col de la Croix de Fer. Etappenstart war in La Lechere im Isere-Tal, wo wir auch übernachteten. Nach knapp fünf Kilometern einrollen ging’s auch schon in den ersten Anstieg — und das gleich volle Pulle mit Steigungen um die zehn Prozent. Trotz der schweren Tour am Vortag spürte ich aber, dass sich meine Beine gut erholt hatten und so fand ich schnell meinen Rhythmus. Die ersten knapp 10 Kilometer verliefen überwiegend im Wald, ab Celliers war jedoch die Sicht nicht mehr eingeschränkt und ich konnte die Landschaft in vollen Zügen genießen — wohl auch, weil meine Beine wie ein Uhrwerk kurbelten. Nach und nach überholte ich andere Radler, bis ich auf eine italienische Gruppe stieß, mit denen ich ins Gespräch kam. Die sind tags zuvor auch den Colombiere gefahren und haben dort doch tatsächlich Lance Armstrong getroffen. Auch ich hatte zuhause noch davon gelesen, dass der Amerikaner vor der Tour noch ein paar Alpenpässe besichtigen wollte. Einer der italienischen Fahrer hängte sich an mich ran, die anderen ließen leider schnell reißen. Bis zum letzten Steilstück konnten wir so nochmals richtig Tempo machen. Dieses musste ich dann allerdings wieder alleine in Angriff nehmen, da sich auch der übrig gebliebene Azzuri verabschiedete. Kurz gestärkt (mein Vater mir dem Begleitfahrzeug wartetet bereits oben), nahm ich sofort die Abfahrt Angriff. Außer, dass man diese recht zügig bewältigen konnte, ist mir nur noch die Retorten-Skistation Longchamp in Erinnerung. Typisch französisch, typisch hässlich ohne Rücksicht auf die Natur.
Im Tal in La Chambre nutzte ich nochmals die Gelegenheit, meine Energiereserven nachzufüllen, bevor im direkten Anschluss der zweite Gipfel der Ehrenkategorie — der Col du Glandon — auf dem Programm stand. Inzwischen war es über 30 Grad heiß und so waren die ersten Kilometer richtig hart, obwohl die richtig steilen Passagen erst noch folgen sollten. Glücklicherweise fand ich doch noch meinen Tritt (so ein Cola kann wahre Wunder bewirken) und kurbelte gleichmäßig nach oben. Auf einer Höhe von etwa 1200m verengte sich dann die Straße auf gut einspurig und ab da wurde es dann auch merklich steiler. Gut, dass auch dieses mal wieder einige Radler deutlich mehr zu kämpfen hatten als ich und ich mich somit geradezu von einem zum anderen hangeln konnte. Am Talschluss wurde es dann aber knüppeldick und bei Steigungen von deutlich über 10% musste ich zum ersten mal richtig ranklotzen. Die Passhöhe selbst gleicht einer Pilgerstätte für Rennradfahrer. Für ein obligatorisches Bild vor dem Passschild musste man sich regelrecht anstellen.
Normalerweise folgt der Passhöhe ja die Abfahrt. Nicht so allerdings am Col du Glandon. Zweigt man nach links ab, kann man nochmals knapp 150 Höhenmeter bis zum Col de la Croix de Fer dazulegen — für den Sammler natürlich ein Muss.
Auf der Abfahrt gab’s wieder einmal ziemlich ruppigen Bodenbelag und Skiorte, in denen im Sommer die Straßen aufgerissen werden.
Als Abschluss dieser Etappe hatte ich mir noch einen kleinen etwas abseits gelegenen Pass ausgesucht. Etwa 15 Kilometer vor Saint-Jean-de-Maurienne, zweigt nach rechts ein kleines Sträßchen zum Col du Mollard ab. Ein richtiger Geheimtipp scheint dieser Pass allerdings auch nicht mehr zu sein, denn auch hier waren die typischen Anfeuerungsparolen der Tour de France auf die Straßen gepinselt. An jenem Tag hatte sich aber kaum jemand dorthin verirrt. Landschaftlich ist dieser kleine Anstieg durchaus empfehlenswert. Die Abfahrt nach Saint-Jean-de-Maurienne ist allerdings mit Vorsicht zu genießen. Steil, kehrenreich, und teilweise schon etwas aufgeweichter Teer. Sofort hatte ich das Bild vom ehemaligen spanischen Profi Belogi vor Augen, der als einer der Mitfavoriten der Tour in so einer aufgeweichten Spur fürchterlich stürzte. Mit entsprechend angepasster Fahrweise war die Abfahrt jedoch gut machbar und das Etappenziel unversehrt erreicht.