2. KÖUTUM: Sölden – Meran

65,6 km / 4142 Hm / 16:32:16 h

„Ein bisschen verrückt ist er ja schon Dein Mann!“ Das war einer der ersten Kommentare von Tomm an meine Frau gerichtet, nachdem wir nach über 16 Stunden in überwiegend hochalpinem Gelände im Ziel in Meran angekommen waren. Ausgesprochen von einem, der mal eben 3. wurde beim 80 km langen Supertrail XL in Grainau. Soll ich das nun als Kompliment auffassen?

Aber der Reihe nach. Als ich vor etwa einem Jahr ganz spontan eine Tour im Ötztal plante und kurzfristig nach Begleitung suchte, meldete sich damals Sebastian, den ich von den Trampelpfadtagen im Taunus kannte und der zufällig gerade im Pitztal im Urlaub weilte. Der Kurze-Ötztaler-Urlaubs-Trail-Ultra-Marathon war geboren und eine Fortsetzung war natürlich Pflicht!

Bei der Planung der neuen Strecke geisterte mir von Anfang an die Idee im Kopf herum, von Sölden nach Meran zu laufen. Logistisch zwar etwas aufwändiger aber extrem reizvoll. Die Tour sollte uns über drei knappe Dreitausender etwa 75 km lang über den Alpenhauptkamm führen.

Das Konzept stieß auf Interesse. Etwa ein Dutzend Läuferinnen und Läufer meldeten sich via FB an. Wie’s aber so ist bei unverbindlichen Aktionen, gab es Absagen, Zusagen und neue Absagen – teils verletzungsbedingt, teils wohl auch dem sehr dichten Veranstaltungskalender in der Trailszene Mitte August geschuldet.

Wie dem auch sei, am Ende wagten sich Sonja und Thomas aus Ulm, Tomm, mein bereits bestens bekannter Ultra-Laufpartner aus Köln und, was mich besonders freute, mein Sohn Niklas – wenn auch nur für ein Teilstück – das Laufabenteuer 2. KÖUTUM in Angriff zu nehmen.

Mit Ausnahme von Tomm schlugen wir bereits freitagmittags in Sölden unsere Lager auf. Das Wetter zeigte sich nicht unbedingt von seiner freundlichsten Seite. Trotzdem nutzten wir die Möglichkeit, mit unseren Ötztal Cards (erhält man kostenlos bei einem Hotelaufenthalt im Ötztal) mit der Seilbahn auf den Gaislachkogel (3056 m) zu fahren und etwas Höhenluft zu schnuppern. Null Sicht, leichter Schneefall, das konnte am darauffolgenden Tag nur besser werden. Am Abend gab’s dann noch das obligatorische Briefung, zu dem nun auch Tomm stieß. Ich erklärte den Streckenverlauf, die Verpflegungspunkte, die meine Frau per Auto ansteuern würde, Abkürzungsmöglichkeiten und Ausstiegspunkte. So viel zur Theorie.

Samstag, 16.08.2014, 4:30 Uhr, Start in Sölden. Kein Niederschlag, die Temperaturen gerade für den ersten langen Aufstieg mit 1600 Höhenmetern gar nicht mal schlecht und der Mond, der leicht durch die Wolkendecke schimmerte stimmten uns schon mal positiv. Wir kamen gut voran. Nach etwa zwei Kilometer Asphalt bzw. Forststraße zum Einlaufen ging’s direkt in den teils steilen Anstieg zum Brunnenkogelhaus (2738 m). Jeder folgte seinem Rhythmus und von Zeit zu Zeit sammelten wir uns wieder. Bei zunehmender Helligkeit zauberten die Wolkenfetzen, die noch in den Bergen hingen und der Neuschnee, der oben auf den hohen Gipfeln lag, eine tolle Stimmung.

In der Nähe der Hütte legten wir eine erste kurze Pause ein. Es war empfindlich kalt geworden, der Wind pfiff über den Grat und jeder zog sich eine weitere Schicht, Mütze und Handschuhe über. Leider verschlechterte sich nun das Wetter, es begann leicht zu schneien, die Temperaturen fielen deutlich in den Frostbereich und die Felsen, die teilweise eh schon leicht überfroren waren, wurden dadurch noch rutschiger. Und das genau an der Stelle, wo die schwierigsten vier Kilometer folgten – die Gipfelgratüberschreitung über Brunnenkogel, Rotkogel und die Wilde Rötespitze, mit 2965 m der höchte Gipfel der Tour. Teilweise durch Ketten gesichert, kamen wir im verblockten Gelände nur sehr langsam voran. Vor allem für Sonja war dieser Teil eine große mentale Herausforderung – ganz großen Respekt!

Doch je weiter wir in Richtung Süden vorankamen, umso öfter Riss der Himmel wieder auf und allmählich tauten auch unsere kalten Glieder wieder auf. Da wir gegenüber dem ursprünglichen Zeitplan bereits deutlich in Verzug waren und Niklas bereits vom ersten Verpflegungspunkt etwas südlich des Timmelsjochs gestartet war, uns entgegen zu laufen, entschied ich, dass Tomm, schon mal weiterlaufen sollte und ich dann mit Sonja und Thomas nachkommen würde. Doch nun kam alles ganz anders: ein altes Knieproblem machte sich bei Sonja wieder bemerkbar, vor allem bergab. Und auch Thomas hatte inzwischen Mühe. Eine aufkommende Erkältung machte ihm zunehmend zu schaffen. Gerade in dem Moment, wo sich die Wetterbedingungen deutlich zu bessern schienen, musste eine Entscheidung gefällt werden. Sonja und Thomas stiegen aus. Sehr schade! Aber vermutlich die richtige Entscheidung. Und: die bis dahin absolvierten knapp 25 km im hochalpinen Gelände waren alles andere als ein Kindergeburtstag. Wir werden unseren ersten gemeinsamen Ultra bestimmt nachholen, versprochen!

Gerade in dieser Situation war es Gold wert, dass meine Frau mit dem Begleitauto dabei war. Während ich nun am ersten Verpflegungspunkt zu Tomm und Niklas stieß, um die Laufklamotten zu wechseln und die Energiespeicher wieder aufzufüllen, konnte meine Frau Sonja und Thomas im Auto mitnehmen.

Wie geplant begleitete uns nun mein Sohn Niklas über den zweiten knappen Dreitausender. Auf etwa 1700 m Höhe, knapp unter der Baumgrenze, hatte sich das Bild komplett gewandelt. Bestes Wetter und eine Landschaft wie aus einem Alpenbildband: sattes Grün, plätschernde Bäche, weidende Kühe und im Hintergrund vergletscherte Gipfel. Ein Traum! Anfangs gab’s immer wieder laufbare Abschnitte, später war nur noch flottes Wandern möglich. Den Gipfel des Rauhen Jochs (2926 m) ließen wir knapp rechts liegen. Der bis dahin weniger technische Anstieg als noch am Morgen wäre hier wohl auch wieder zu einer Kraxelei ausgeartet. Stattdessen ließen wir uns auf den nächsten drei Kilometern bis zum Kreuzjoch (2525 m) vom Flow treiben. Toller Trail hoch über dem Pfelderertal!

Doch bis zum nächsten Verpflegungspunkt in Pfelders fehlten immer noch knapp 1000 Höhenmeter. Irgendwann musste es doch mal richtig bergab gehen. Und es ging richtig bergab! Genauer gesagt 900 Hm auf einer Länge von gerade mal 3 Kilometern auf ganz fiesem Wiesentrail. Gerade mal fussbreit und dazu hohes Gras, so dass man nie genau wusste, ob man überhaupt vernünftig auftreten konnte. Nicht nur für die Oberschenkel sondern auch für den Kopf extrem fordernd!

Doch nach etwa vier Stunden war auch der zweite knappe Dreitausender geschafft. Niklas durfte sich angesichts seiner tollen Leistung wohlverdient gratulieren lassen und für Tomm und mich hieß es nun abermals frische Sachen anziehen und die Taschen vollstopfen, denn bis nach Meran würde kein weiterer Verpflegungspunkt mehr folgen.

Bereits über 10 Stunden für die ersten 40 Kilometer auf den Beinen, das sagte einiges über den Schwierigkeitsgrad der Strecke aus. Dazu setzte nun wieder leichter Regen ein. Tomm’s Moral schien einen kurzen Moment ins Wanken zu geraten. Gott sei Dank entschied er sich dafür, mich weiter zu begleiten, danke!!

Wir verabschiedeten uns also vom Rest der Truppe, der nun mit dem Auto direkt nach Meran weiterfuhr und folgten einem schönen Steig durch den Wald. Auch die Regenwolken verzogen sich wieder schnell, so dass nicht nur die Stimmung stieg sondern auch die Landschaft nochmals in vollen Zügen genossen werden konnte. Die etwa 1000 Höhenmeter bis zum Spronserjoch verteilten sich gut auf den folgenden acht Kilometern. Über dem Joch dann das Mega-Panorama. Bei klarer Luft am späten Nachmittag reichte der Blick bis in die Dolomiten – einfach grandios! Und ein paar Meter weiter schoben sich dann auch noch die Spronser Seen ins Blickfeld. Fast schon surreal!

Es ging nun wieder einige Meter runter direkt zu den Seen. Unter Esoterikern genießt dieser Ort einen besonderen Status – angeblich ein Kraftplatz  Naja, Tomm scheint das eher die letzten Körner gezogen zu haben. Nach eigenem Bekunden fühlte er sich zu diesem Zeitpunkt ziemlich leer. Leider gab’s aber nicht viele Alternativen. Irgendwie mussten wir von der Hochgangscharte, ein knapp 2500 m hoch gelegener Pass am Ende der Seenplatte die gut 2000 Höhenmeter hinunter nach Meran. Eine ursprüngliche Idee, hier nochmals einen Gipfel einzubauen, war schnell verworfen. Wir folgten dem steilen mit Stahlseilen gesicherten Weg zum Hochganghaus (1839 m) und entschieden uns dort, aufgrund der in zwei Stunden einsetzenden Dunkelheit, für die sicherste Variante, erst mal weiter abzusteigen. Wie sich herausstellte eine sehr gute Entscheidung, denn es folgten feinste Wurzeltrails, auf dem die Höhenmeter nur so purzelten. Und während Tomm eine Stunde zuvor noch die negative Wirkung des Kraftplatzes über sich ergehen lassen musste, waren wir nun beide wieder in unserem Element. Ich musste sogar nochmals meine äußerste Lage ausziehen, so kam ich ins schwitzen!

2000 Höhenmeter auf 10 Kilometer – und das nach 50 Kilometern! Puh, wem da nicht die Oberschenkel glühen! Das Ziel nun schon deutlich in Sichtweite, spulten wir die letzten sieben Kilometer auf den Waalwegen entlang Obstplantagen und Weinbergen ab. Mit letztem Restlicht erreichten wir schließlich nach 16 Stunden und 30 Minuten stilvoll auf der Passerpromenade das Meraner Kurhaus. Geschafft! Was für ein (Lauf-)Abenteuer! Die anderen waren inzwischen aus einer nahegelegenen Kneipe zu uns gestoßen. Ein Empfang wie bei einem Rennen, toll! Nun noch schnell ein paar Fotos am Kurhaus und ab in die nächste Pizzeria (auch wenn das für die anderen Gäste so rein geruchstechnisch nicht unbedingt so toll war 

An dieser Stelle vielen Dank an alle Beteiligten, die diesen Event ermöglichten, insbesondere an meine Frau Karin, die mit dem Begleitfahrzeug unterwegs war, uns bestens versorgt hat, und ohne die die Logistik so nicht möglich gewesen wäre.

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