242 km / 5000 Hm / 10:55:00 h
976. (2110) Gesamt
Nun war es endlich so weit. Nach fast zehn Monaten gezieltem Training nahm ich zum ersten Mal am Ötztaler Radmarathon teil. Es sollte sich also zeigen, ob die vielen Mühen im Vorfeld (ca. 9000km, 40000 Höhenmeter) ausreichen würden, den Klassiker aller Radmarathons bestehen zu können.
Ich war bereits samt Familie eine Woche in Sölden. Die Anspannung steigerte sich von Tag zu Tag, noch dazu waren die Prognosen für das Wochenendwetter nicht gerade die besten (die sich dann später Gott sei dank nicht bestätigten). Der Schlaf in der Nacht vor dem Marathon war dann auch eher durchwachsen. Um halb fünf in der Früh hieß es dann aufstehen, leichtes Frühstück, nochmals die Ausrüstung kurz durchchecken und ab an den Start. Doch dabei gab es gleich einen der wenigen Punkte, die der Organisation anzukreiden waren. Das gesamte Fahrerfeld (immerhin ca. 2500 Teilnehmer) mußte sich auf einem engen Radweg ans Ortsende von Sölden bewegen, um dort an einem völlig unterdimensionierten Check-In die Startaufstellung einzunehmen. Ob der Check-In tatsächlich geklappt hat oder nicht, stellte sich erst nach dem Rennen heraus (dazu später mehr).
Pünktlich um 6:30 Uhr wurde der Startschuss gegeben und das Feld setzte sich zügig in Bewegung. Ich schätze, ich war so in der Mitte des Feldes positioniert, so dass ich gegen 6:35 endlich lospedalieren konnte (schließlich war’s noch ziemlich frisch, und vom Rumstehen wird’s einem nicht gerade wärmer).
Der erste Teilabschnitt bis Ötz wurde erwartungsgemäß recht flott angegangen (Schnitt 43 km/h) und obwohl das Feld relativ schnell auseinander brach, bildeten sich doch recht große Gruppen, in denen man gut mitrollen konnte. An der Abzweigung in Ötz nach Kühtai bildete sich erst mal ein ordentlicher Stau. So nutzte ich die Zeit, um in Ruhe meine Windweste auszuziehen und eine Kleinigkeit zu essen. Die Passstrecke selbst (wie schon zuvor das Ötztal) war für den öffentlichen Verkehr gesperrt. So konnte man gut seinen eigenen Rhythmus finden und im erstaunlich ruhigen und relativ dichtem Feld den ersten Pass in Angriff nehmen.
Aufgrund eines Murenabganges im Selrain gab es dieses Jahr ein Novum. Statt geradeaus bis zur Passhöhe des Kühtai ging’s in Ochsengarten links ab über den Haiminger Sattele in’s Inntal. Dies bedeutete einige Höhenmeter weniger, dafür aber ein paar Kilometer mehr. Ich bin die Strecke glücklicherweise wenige Tage zuvor noch abgefahren. Eine landschaftlich zwar interessante Strecke (es bieten sich immer wieder schöne Einblicke ins Inntal) aber ziemlich riskant. Zwar räumten die Organisatoren den Rollsplit noch einigermaßen von der Straße (bei meiner Vorfahrt war’s in den Kurven wirklich saumäßig gefährlich), doch die engen Kehren, die vielen Schlaglöcher und das durchgängig steile Gefälle sorgten für zahlreiche Pannen und sogar schwere Stürze. Zwei Fahrer aus dem vorderen Feld mußten mit dem Rettungshubschrauber abtransportiert werden. Da wurde es mir schon ein wenig mulmig. Doch die große Masse der Hobbyfahrer ging sehr umsichtig an’s Werk und so gelang es mir den ersten Pass ohne größere Probleme zu bewältigen.
Der eher langweilige folgende Abschnitt nach Innsbruck wurde von der ersten Verpflegungsstation unterbrochen. Die Organisation dort war super. Man nahm mir sogar meine Flaschen ab und füllte sie auf, ohne dass ich vom Sattel mußte, perfekt. Auch nach Innsbruck fand ich schnell wieder eine gut funktionierende Gruppe. Nach meiner Marschtabelle (ich orientierte mich jeweils an den Zielschlusszeiten, schließlich war mein Ziel einfach nur zu finishen, egal in welcher Zeit) war ich gut in der Zeit und am ersten Kontrollpunkt in der Longokurve bei Innsbruck hatte ich ca. 45 Minuten gutgemacht.
Den Brenner kannte ich natürlich von zig Fahrten mit dem Auto und auch mit dem Rennrad bin ich ihn schon zweimal gefahren. Die bis auf den letzten Kilometer eher geringen Steigungen stellten auch kein Problem dar. Nur der Verkehr war ziemlich lästig. Vielleicht gelingt es in der Zukunft ja, die gesamte Strecke für den öffentlichen Verkehr zu sperren. Oben am Brenner gab’s die zweite Verpflegungsstation, auch hier klappte wieder alles bestens. Die kurze Abfahrt nach Sterzing konnte ich sehr gut nutzen um mich zu stärken und mich psychisch so langsam auf die kommenden Herausforderungen einzustellen. Schließlich waren noch mehr als die Hälfte der Höhenmeter zu absolvieren. Bis dahin fühlte ich mich allerdings hervorragend und so war ich zwar gespannt aber optimistisch, was den weiteren Verlauf angehen würde.
Den Jaufenpass bin ich zum ersten Mal gefahren. Die sehr gleichmäßige Steigung läßt schnell vergessen, dass es immerhin gut über 1000 Höhenmeter nach oben geht. Noch dazu bietet sich oberhalb der Baumgrenze ein hervorragendes Panorama. Auch der Wettergott spielte mit. Allen Befürchtungen zum Trotz gab’s seit dem Morgen Sonnenschein und angenehme Temperaturen. Und nicht zuletzt sorgten die sehr zahlreichen Zuschauer in den letzten Kehren für die nötige Stimmung. Den Jaufenpass hinauf lief’s immer besser. Ich überholte deutlich mehr Fahrer als umgekehrt. Dies motiviert unheimlich. Es hatte sich ausgezahlt, am Kühtai (bzw. Haiminger Sattele) nicht zu forsch anzugehen. Viele Fahrer, an denen ich vorbeiziehen konnte, zeigten bereits erste Probleme. Naja, für die gab’s ja oben am Jaufen neben der dritten Verpflegungsstation die Möglichkeit, sich massieren zu lassen, was rege in Anspruch genommen wurde. Ich versuchte, nicht zu viel Zeit zu verlieren und machte mich schnell auf zur Abfahrt, die absolut traumhaft war. Der Streckenabschnitt war wieder gesperrt und die Straße mit einer relativ neuen Asphaltdecke versehen. Das Feld war inzwischen sehr weit auseinander gezogen, so dass man die Abfahrt in vollen Zügen genießen konnte.
Inzwischen war es doch ziemlich heiss geworden. Nach der Abfahrt vom Jaufen am Fuße des Timmelsjoch in St. Leonhard nach ca. 190 km zeigte das Termometer eines anderen Teilnehmers immerhin 38 Grad an (war aber wohl an der Sonne gemessen). Doch da mir hohe Temperaturen normalerweise liegen, fand ich auch hinauf zum Timmelsjoch relativ schnell wieder meinen Rhythmus. Inzwischen waren viele Teilnehmer schon ziemlich gezeichnet. An jedem Rinnsal, das ein wenig kaltes Wasser von den Bergen herabführte, bildeten sich Fahrertrauben, um sich abzukühlen. Nicht wenige schoben ihr Fahrrad oder lehnten einfach nur an einer Leitplanke. Inzwischen war ich mir sicher, ich würde es schaffen, und wenn alles gut läuft vielleicht sogar in unter 12 Stunden (war mein insgeheimes Ziel). Ich motivierte mich also weiter durch zahlreiche Überholungen und kurbelte mit immer noch relativ rundem Tritt (Übersetzung 39/27) zur letzten Verpflegungsstation auf ca. halber Höhe des Passes, bevor das letzte Steilstück begann. Nach der kurzen Pause hatte ich jedoch zum ersten Mal Probleme. Meine Oberschenkel waren schwerer geworden. Jetzt nur keinen Krampf, hoffte ich. Doch das Zwicken legte sich Gott sei Dank wieder. Auch die Strecke hinauf zum Timmelsjoch war wieder von zahlreichen Zuschauern gesäumt, was unwahrscheinlich anspornt. Zwar mußte ich jetzt immer häufiger aus dem Sattel und die Zähne zusammenbeißen, doch die Horrorschilderungen über die Südrampe des Timmelsjoch, die ich im Vorfeld nicht selten las, kann ich glücklicherweise nicht bestätigen. Im Gegenteil, die absolut beeindruckende hochalpine Landschaft, durch die sich die Timmelsjochstraße schlängelt, entschädigt bei weitem. Der etwa 500 m lange Tunnel vor der Passhöhe war von den Organisatoren sehr gut ausgeleuchtet worden und stellte somit ebenfalls keine Schwierigkeit dar. Jetzt war es also Gewissheit, ich hatte es geschafft. Auf der Passhöhe angekommen konnte nichts mehr schief gehen. Den kurzen Gegenanstieg auf der Abfahrt kannte ich, da ich das Timmelsjoch zumindest von der Nordseite schon gefahren war. Inzwischen hatte ich sogar weiter Zeit gutgemacht, so dass sogar die 11-Stunden-Grenze möglich war. Doch nur nicht zu viel Risiko auf der rasenden Abfahrt nach Sölden eingehen. Ohne mir Druck zu machen, genoss ich die letzte Abfahrt. Und zu meiner Überraschung hat es sogar geklappt. Mit 10:55 Stunden überquerte ich die Ziellinie.
Das Glücksgefühl, das einem in diesem Moment überkommt, ist schon enorm. Noch dazu fühlte ich mich gar nicht mal so kaputt, wie ich es mir vorher vorgestellt hatte. Auch meine Frau war überrascht (und froh), dass ich noch einen relativ fitten Eindruck machte.
Einen kleinen Wermutstropfen gab’s dann allerdings doch noch. Nachdem ich auch nach mehreren Stunden noch nicht in den Ergebnislisten auftauchte hat wohl entweder beim Check-In etwas nicht funktioniert oder mein Transponder war fehlerhaft. Mag sein, dass dabei auch meine Unerfahrenheit bei solchen Großveranstaltungen eine Rolle spielte. Naja, sei’s drum. Wie sich später im Gästebuch der offiziellen Website herausstellte war ich nicht der einzige mit diesem Problem. Insgesamt muss man den Organisatoren jedoch ein ganz großen Lob aussprechen für diese tolle Veranstaltung. Und eines steht auch fest. Dies war nicht mein letzter Ötztaler. Vielleicht gibt’s dann ja einen Angriff auf die 10-Stunden-Marke …